Perpetual shifting
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Perpetual shifting

Installation_Videos_Text Projection-Participatory Elements
Exhibition: arttransponder project room Berlin 2007, (publication)

What is „time?“, a movement, a relation to space, a universal structure, relational diversity, a „now,“ which more than ever, is continuously „hopping?“ Is really everything a matter of time?
With this multilayer installation work I am researching the production of time within subjective perception.
By looking for hidden moments beyond the experience structured for us I am questioning existing time concepts, which often demand efficiency and productivity and their processes of evaluation.

http://vladmorariu.wordpress.com/texts/tatjana-fell-on-the-flow-of-time

Projektbeschreibung

see project description „ON THE BOTTOM OF TIME“ – Tatjana Fell / Nina Lundström

Fotos

time | productivity | systems of validation

In collaboration with Nina Lundström, we asked friends and interested visitors to create a product without sense via a knitting process.
Passed time became visible through a process of production and was integrated in the exhibition. Visitors finished or proceeded on the knitting piece what others had worked beforehand, not knowing what for but with a visible result

text projection_video loop

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Videostills

videostills perpetual shifting

During our lifetime we need to discover and reveal our own personality and find a personal approach to life.
Mainly covered by a selfmade mask of delusions it takes our action and time to uncover the ties.

Texte

Tatjana Fell im Fluss der Zeit – Vlad Morariu

Time will explain it all. He is a talker,
and needs no questioning before he speaks.
Euripides

Die Hauptfigur in Michael Endes Buch, Momo, ein armes Waisenkind, das in einem Amphitheater am Rande einer Großstadt lebt, beschreibt der deutsche Autor als letzte Überlebende einer Gesellschaft, in der die Menschen sich noch am Geschmack der Zeit erfreuen können. Das Kind ist Zeuge eines Prozesses, in dessen Verlauf die kapitalistische Denkweise, deren Logik auf Prinzipien von Effizienz und Wertansammlung ba siert, langsam eine Haltung ersetzt, die auf der Freude am Spiel und am Erzählen gründet. Wie die Dinge stehen, ist Endes Buch eine Prophezeiung unserer gegenwärtigen Geschichte, deren wissenschaftlicher, die Relativität unterstützender Ansatz sein Gegenstück in einer anderen Art von Relativität findet, die vergangene Momente in verbrauchtem Kapital bemisst, eine Verbindung zwischen Zeit und Geld. Aber, da das Buch letzten Endes für ein Happy End argumentiert, indem Momo die gestohlenen Stundenlilien befreit und sie an ihre eigentlichen Besitzer zurückgibt, wandelt sich hier Endes Geschichte in ein Spiel befreiter Identitäten, die Ihren Weg heraus aus der Unwissenheit finden, um die Gabe, ins eigene Herz schauen zu können, zurück zu gewinnen.
Die Versuchung ist groß, sich Momo als Prototyp des Künstlers zu denken:
eine erfinderische Person mit einfallsreichem Denken die sich durch die große Kraft des Zuhören- und Verstehen-Könnens in die Gesellschaft einbringt, sich auf die Seite der Unterpriviligierten stellt – ein Maurer, eine Wirtin, ein Strassenkehrer, eine Fremdenführerin – jemand der (glaubhaft) Szenarien schafft, deren Möglichkeit Alternativen zur Realität werden. Aber, wenn diese Annahme wahr ist, sollten wir uns dann den Künstler als denjenigen vorstellen, der die besten Voraussetzungen hat, uns durch das Wiederfinden der verlorenen (oder gestohlenen) Zeit zu uns selbst zurück zu bringen?
Eine Betrachtung der Arbeiten Tatjana Fells, die im Rahmen der Ausstellung Auf dem Boden der Zeit entstanden sind, gibt Gelegenheit, diese Gedanken auf die Probe zu stellen. Oder besser gesagt, da sich der Kreis der Interpretation in Spiralen bewegt: bei der Betrachtung dieser Arbeiten konstituiert sich eine Gelegenheit, sich an eine Geschichte von Unschuld zu erinnern, in der sich der Lebenswert einer Ästhetik der Zeit repräsentiert, in einer Reise vom Außen der Lebenswelt in das innere des Herzens, welches sich in künstlerischer Weise offenbart; um zurück zu kehren zu den Reflektionen der Künstlerin selbst und diese in ein neues Licht zu setzten.
Es stellt sich heraus, dass Tatjana Fell eine Aufgabe gewählt hatte, die die einfachste und doch gleichzeitig die schwierigste ist. Ein Hinweis auf diese Schwierigkeit kann man bereits in den Bekenntnissen des Hl. Augustinus finden; der christliche Philosoph erklärt sein eigenes Unvermögen, indem er die Frage nach der Natur der Zeit stellt und dabei die befragte Person in die paradoxe Position bringt, gleichzeitig antworten zu können, aber keine Antwort zu haben: Wenn man mich fragt, was Zeit sei, kann ich nicht antworten; wenn man mich aber nicht fragt, kann ich möglicherweise eine Antwort geben. Oder – wenn ich diese Argumentation weiterführen darf – wenn niemand fragt, was Zeit ist, dann könnte jemand ihre Natur aufzeigen. Die Ontologie ist eine der Zeichen und Symbole.
Ein erster Schritt in den Galerieraum, und man kommt nicht umhin, ein Verweigern grammatischer Kohärenz zu bemerken, ein Argwohn gegenüber der Konstruktion eines Diskurses. Es ist, als sei zu befürchten, die Sprache könnte sich gegen den Ursprung ihres eigenen Seins auflehnen – gegen das sich äußernde Subjekt, die Künstlerin selbst. Denn Sprache beansprucht ihre Autonomie, sobald sie in der Welt ist. Stattdessen entscheidet sich die Künstlerin für den Mittelweg zwischen dem Beantworten dieser ontologischen Frage und der Beschränkung auf blo – ße Zeichen; daher fließen Worte über die Wand, als Bilder verdinglicht.
Durch diesen Prozess der Verdinglichung werden sie zu Objekten fiktiver Fallstudien für jede andere menschliche Erfahrung.
Die Künstlerin zeigt, deutet an, entwirft Text-Bilder ihres eigenen Begriffssystems, die sich, von einer Seite zur anderen, in einer Passage von Materie und Zeit, an der Wand links materialisieren, in Erscheinung treten und verschwinden, so wie sie gekommen waren. Im narrativen Kontext, der bereits durch Kunstraum und Kunstwerk festgelegt ist, verlieren diese Worte ihren Ursprung und werden zu Beispielen dafür, was Mikhail Bakhtin Heteroglossia nannte, die Vielstimmigkeit der Sprache, eine Virtualität von Worten, geäußert von einer unendlichen Anzahl von Wesenheiten, heraus aus den Bereichen der Gesellschaft, ungeachtet ihres Status: perpetual shifting – continuous space – building timeframes – setting limits – living within borders – now – then – yesterday – tomorrow – never-ever – yet – lost in the flow – falling – drowning – dissolving – scanning – locating – navigating – making decisions – creating time – living in time – yet.Worte zur Erinnerung.
Aber was hier nur als unbewusstes Wissen verpackt scheint, entfaltet sich weiter und unverhüllt. Eine lebendige Skulptur aus einer Vielzahl von Stimmen, die aus Fäden und Drähten gemeinschaftliche Strukturen schafft. Menschen sitzen und sprechen miteinander, haben sie erst einmal zugestimmt, das Spiel zu spielen. Denn hier ist Arbeit von ihrer sozialen Notwendigkeit befreit und in ihr Gegenteil verkehrt, welches sich als Freizeit konfiguriert, die nicht in derselben Weise zu verschwenden ist, wie die gestohlene Zeit zum Maßstab für Effizienz wird, sondern als Bereitschaft, sie den anderen zu überlassen. Vom Bakhtin`schen Standpunkt aus gesehen könnte dies der einzige Ort sein, an dem solch eine Art Karneval stattfinden könnte – ein Karneval, ein Fest, eine gemeinschaftliche Explosion der Freude, eine Flucht vor der Normalität, eine Transfiguration des Gewöhnlichen. Der Kern dieser Arbeit liegt in einem Spiel der Imagination mit ihren eigenen Möglichkeiten, ergänzt um den Willen, sich dem anderen anzunähern mit dem Geringsten, das man zu bieten hat. Was die Künstlerin hier anstrebt, ist kein Experiment, sondern eine Übung in Vertrauen auf den hermeneutischen Zirkel – was steht schon auf dem Spiel – das Verständnis für den anderen, um sich selbst besser verstehen zu können. Es existiert keine Teleologie hier, so wie es auch keine endgültige Form für das gestrickte Nest gibt. Zeit wird zu einem Bezugssystem, einem Hintergrund der darauf wartet, dass sich Menschen dieser Arbeit und jenem Rest nähern, der in Vergessenheit gerät, während das Stricken zur Freude Freude an der gemeinsamen Begegnung wird.
Und schließlich ist da das verlassene Amphitheater. Eine verwaiste Szenerie – die Akteure sind gegangen, oder, um mit Tatjana Fell zu sprechen, ein offenes Atelier, in dem der Künstler fehlt. Die kleine Momo verließ das Amphitheater für Tage, Jahre, Ewigkeiten, um zum Nirgendwo-Haus zu reisen – vom logischen Standpunkt aus betrachtet hat das Nirgendwo die gleichen Chancen, plötzlich zu seiner Existenz hindurch zu brechen, wie das Überall – wo sie schließlich auf Meister Secundus Minutius Hora treffen würde – aber das ist nur eine weitere Me ta pher für ein signifikantes Eintauchen in die Leere der Zeit, welches immer auch eine Konfrontation mit der eigenen Subjektivität ist. Auf die
gleiche Weise ist die Künstlerin gegangen, Tatjana Fell hat den Ort verlassen und ihre einzigen zurückgelassenen Spuren sind Fragmente eines früheren Lebens, die sich Moment für Moment in künstlerischen Arbeiten manifestieren. Ein Menschenleben, ein Künstlerleben als ein Maßstab für Zeit: eine Rakete, die abgefeuert unmittelbar darauf explodiert – das Bild eines Atemzugs als Tropfen im galaktischen Ozean; eine unendlich wiederholte Geste des Bedeckens und Enthüllens eines Frauengesichtes mit Hilfe eines endlosen Fadens – eine gleichförmige Be we gung wie ein stetes Vorübergleiten, der gleiche Takt, das Gleiche Maß der Fortbewegung, im Gegensatz zu der Hektik, in der wir leben, Voraussetzung für eine exotische Philosophie des Losgelöstseins und eine Übung in Weisheit [sagesse], der Fähigkeit zu begreifen, dass alles kommt und geht und nichts jemals bleibt, oder mit anderen Worten, eine Strategie sich abzusichern; ein Fernsehprogramm ohne Übertragung, oder besser gesagt, das Fehlen vorgefertigter Bilder ist die eigentliche Übertragung, oder noch besser, eine Brown`sche Bewegung winzigster Einheiten, im Zufall sich kreuzende ahnen, eine Berührung von Existenzen, die sich in einer niemals endenden Bewegung begrüssen, ein Weg zu einem Denken über Zeit für mikroskopische Imperien, die wir niemals sehen können. Die Zeit hat dieses Atelier gezeichnet und es in klinischer Ordnung hinterlassen, alles an seinem Platz, aber da diese Arbeit der Zeit erlaubt, über sich selbst zu sprechen, gewährt sie uns im Gegenzug den Wert einer langlebigen künstlerischen Aussage.
Die alten Griechen dachten, dass sich jedes Objekt auf seinen eigenen Raum zubewegt und dadurch Bewegung überhaupt erst möglich sei.
Jenseits dessen bleibt die Frage nach den Möglichkeiten von Zeit weiter bestehen. In Ermangelung eines Eigenlebens, das sie uns zeigen könnte, spricht Zeit durch die Stimme derer, die sie finden und hören. Die Arbeiten Tatjana
Fells sind mit den Narben der Zeit zurückgelassen worden. Wir sind am Zug.

Interview von Olaf Pfeiffer

Was versteht ihr unter Zeit?

tatjana: Für mich steht Zeit als ein vielschichtiges Konzept, das unser ganzes Sein, Denken und Handeln bestimmt. Mich fasziniert die Unausweichlichkeit ihres Verlaufs und unser Unvermögen, dieser vorgegebenen Richtung auszuweichen. Zeit sehe ich als eine Matrix, eine universale Struktur, innerhalb der ich mich als Mensch bewege. Aber für mich ist Zeit auch ein individuelles Erleben, das ein Konstrukt unserer subjektiven Wahrnehmung ist. Das ist für mich der spannendste Bereich, den ich versuche, mit meiner künstlerischen Arbeit aufzuspüren.
nina: Zeit ist für mich der Faden, auf dem ich balanciere.

Warum beschäftigt ihr euch mit diesem Thema?

nina: Ich empfinde, es herrscht Stress in der Gesellschaft, das Tempo nimmt ständig zu um mich herum. Dieser Stress mutiert nach und nach zur Normalität, führt uns in die Richtung einer Gesellschaft, die ich nicht haben will. Es gibt Früherziehung, Nachhilfe, Zusatzangebote, Auffrischungskurse … Leere und Langsamkeit scheinen gefährliche Begriffe geworden zu sein.
tatjana: Mich interessiert die subjektive Zeitwahrnehmung, die strukturierenden, taktgebenden Mechanismen und die damit verbundenen bewussten und unbewussten Entscheidungs-
prozesse, mit der wir Zeit eingrenzen und erfassbar machen, das Generieren und Übernehmen von Bewertungsmaßstäben die an diese gesetzte Zeitempfindung koppeln und deren Auswirkungen, Fremd- und Selbstbestimmt sein, Chaos und Ordnung, Überfülle und Leere.

Wie habt ihr diese Ausstellung zusammen kon zipiert? Was habt ihr davon zusammen produziert?

tatjana: Lisa Glauer hat den Kontakt zwischen uns hergestellt. Sie kannte unsere früheren Arbeiten, in denen wir uns beide mit Staub beschäftigt hatten, jede auf eine andere Weise.
nina: Es war uns wichtig, nicht nur ältere Arbeiten zu zeigen, sondern auch etwas, das wachsen konnte, etwas, das uns verbindet.
tatjana: Wir haben uns zunächst über unsere persönlichen Vorstellungen von Zeit ausgetauscht. Aus diesem Prozess heraus, ja sogar aus dieser Arbeit des Schreibens, haben wir bemerkt, wie wesentlich ein Produkt mit der Produktion von Zeit verwoben ist und die Idee des Strickprojektes ist entstanden.
nina: … eine Arbeit, die am Ende mehr von der Arbeit anderer Leute als aus unserer Arbeit besteht! Wir haben Leute gebeten, für uns zu stricken, etwas Nicht-Nützliches, Sinnvolles oder Funktionelles.
tatjana: … sondern das Stricken sozusagen nur als Messinstrument von Zeitproduktion zu verwenden. Das hatte einige Klagen hervorgerufen. Ein interessantes Phänomen, an dem sich schnell zeigte, dass alle Produktion wünschenswerterweise mit „Sinnproduktion“ im Einklang steht.
nina: Es war sehr spannend, mit den Leuten zu diskutieren, zu erklären warum es uns wichtig war, dass sie uns helfen, dass sie für uns etwas „Sinnloses“ machen. Der Aspekt der Zeitverschwendung wurde oft diskutiert, auch was als „richtig“ empfunden wird, und warum man überhaupt etwas macht. Es ging uns nicht um den Aspekt der Handarbeit als etwas typisch feminines. Unser Interesse war der Zeitaspekt, die Zeitnutzung. Wie verwenden wir unsere Zeit, was machen wir damit?
Auch interessant war der Austausch mit unseren „Mit-Strickenden“, was Sie gemacht haben, und wie sie das Produzieren von etwas „Sinnlosem“ empfunden haben.
tatjana: Bei der Konzeption der Ausstellung im Raum haben wir gemeinsam ein raumverbindendes Farbkonzept entwickelt, und es sind neue Audio-Arbeiten entstanden, die eine weitere Wahrnehmungsebene erschließen sollten.

Wie kamt ihr darauf, dass es wichtig ist, eine gemeinsame Arbeit in den Raum zu stellen, statt einer Ausstellung in der jede nebeneinander ihren abgegrenzten Platz findet?

nina: Da wir uns für das gleiche Thema interessieren, hat es sich von selbst ergeben, dass wir auch eine Arbeit zusammen konzipiert haben. Dabei war nicht nur wichtig, dass es ein gemeinsames Werk war, genau so wichtig war es uns, viele Leute zu involvieren, über den „im Atelier allein arbeitenden Künstler-Mythos“ heraus zu kommen und mit Nicht-Künstlern in Kontakt zu treten.
tatjana: Eine Ebene des miteinander Arbeitens bietet unendlich viel neue Einblicke in die Arbeit des Gegenübers und in die eigene. Es entstehen Fragen, kritische Stellen werden deutlich, aber es entstehen auch Synergien. Es entstand der Wunsch, einen Dialog herzustellen zwischen unseren verschiedenen Arbeiten und den Besuchern. Räume zu schaffen, sich selbst an unterschiedlichsten Stellen darin einzuklinken, also die Idee eines von außen zu betrachtenden „Kunstwerkes“ aufzubrechen und es selber mit zu gestalten.

Vlad Morarius Text benutzt als Ausgangs- und Endpunkt Michael Endes „Momo“ und die darin vorgebrachten Denkanstöße zur Zeit. War das Buch für Euch beide wichtig?

nina: Das ist lustig! Das Buch habe ich nicht bewusst im Kopf gehabt, als wir an der Ausstellung gearbeitet haben, aber es war tatsächlich eines meiner Lieblingsbücher als Kind, auch eines von den wenigen, die ich bis heute besitze und auch immer wieder lese. Je älter ich werde, desto wichtiger empfinde ich das Buch. Die Erkenntnis, dass man Zeit nicht sparen und aufheben kann, ist so klug. Wenn ich probiere, alles schneller zu machen, hilft das am Ende nicht, mir bleibt nicht mehr Zeit übrig. Ich will nicht zulassen, dass Andere meinen zu wissen, was für mich wichtig sein soll, was ich mit meiner Zeit machen soll. Keiner schenkt mir Zeit für mich, die muss ich für mich selber freihalten und nutzen.
tatjana: Ja, natürlich war dieses Buch eines, das nicht fehlen durfte in der Literaturliste auf dem Weg des Erforschens der eigenen Existenz. Ich mag die Metaphorik, die nach wie vor Bestand hat, die transponiert und neu gelesen werden kann in einer aktuellen Interpretation von Zeit.

Welche anderen Anstöße hat eure Auseinandersetzung gehabt?

nina: Ansatzweise habe ich schon während meines Studiums in Oslo mich mit Zeitfragen auseinander gesetzt. Die Staubarbeit hat ihre Wurzeln dort, ein Semester lang habe ich in meinem Atelier Staub gemacht und gesammelt, ich aber wusste nicht, wie ich das zu einem Kunstwerk entwickeln sollte. Die Lösung habe ich erst 2 Jahre später gefunden, als ich schon in Weimar wohnte. In meiner Diplomarbeit (1999) habe ich mich zum ersten Mal mit Zeit und Erwartungen auseinander gesetzt. Meine Diplomarbeit (das Video „Locken“ und die Zeichnungsserie „Schatten vom Staub“) war ein Protest gegen Erwartungen an mich und an meine Kunst, eine Reaktion
gegen Schnelllebigkeit, und was als wichtig angesehen wurde. In den Zeichnungen habe ich Staub auf einen Overhead-Projektor gelegt und über Wochen den Schatten abgezeichnet. Eine Zeichnung brauchte bis zu 6 Wochen Zeit. Das Video geht über 20 Minuten in einer einzigen Einstellung, ohne Schnitt. Ich sitze vor einem Fenster und mache aus Geschenkbändern Locken, die langsam meinen Körper bedecken. Eine zeitaufwändige Aufgabe, mit Referenzen zu Märchen und Feminismus, Frauenrollen und Schönheitsidealen.

Inwiefern ist der Umgang mit Zeit für Euch ein kulturelles oder überkulturelles Phänomen, und inwiefern diskutiert Eure Ausstellung z. B. kulturelle Herkunft?

nina: Zeit ist für mich ein überkulturelles Phänomen, aber wie wir am Ende damit umgehen, ist auch sehr von unserer Umgebung geprägt. Mit Umgebung meine ich nicht nur, in welchem Land wir wohnen, noch viel mehr mit welchen Leuten wir uns umgeben, an wem wir uns messen. Das ist für mich als Künstlerin manchmal sehr schwierig. Als Künstler nimmt man heute eine Rolle des Außenseiters ein, in einer Gesellschaft, die Ihre Werte an Karrieren, Fortschritt und Geldsammeln misst.
tatjana: Der Umgang mit Zeit ist wesentlich kulturell konotiert. Problematiken der westlichen Gesellschaft, die aus dem Umgang mit Zeit resultieren, sind nicht deckungsgleich mit denen anderer Kulturen und Gesellschaftsformen. Das findet sich natürlich auch in unserer künstlerischen Arbeit. Die Beschäftigung mit Zeitproduktion innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft zum Beispiel, Sichtbarkeiten, Wertehierarchien, Determinierungsprozesse.
Ich fokussierte mehr auf das subjektive Zeitempfinden, also auf das, wenn Du möchtest, Überkulturelle. Ich sehe darin eine Qualität, eine Fähigkeit der Selbstbestimmung, diese aber muss erst neu entdeckt und vergegenwärtigt werden, damit jeder sie bewusst und mit Gewinn einsetzen kann.

Alle Eure, ansonsten recht unterschiedlichen, Projekte arbeiten auffällig einheitlich mit bzw. auf Weiß. Was bedeutet die Farbe Weiß für Dich?

nina: Die Farbe Weiß bedeutet mir nicht viel, es geht bei mir eher um Sichtbarkeit/ Unsichtbarkeit. Weiß ist auf eine Art und Weise ein Nichts. Mit Weiß kommt man nah an das Neutrale, kann von dort anfangen. Ich habe schon immer eher schwarz-weiße oder farblose Arbeiten gemacht. Ich finde die Grenze zwischen wahrnehmbar und nicht mehr wahrnehmbar faszinierend.
tatjana: Ich arbeite in der Regel sehr viel mit Grau, sozusagen als Nichtfarbe, als Setzung und Träger. Bei der Installation „perpetual shifting“ benutze ich das vorgefundene Weiß als blank space, der übertragen Variable und Möglichkeit einer Besetzung sein kann, aber nicht eine De mar kation von Zeit ist.

Tatjana, woher kam die Idee, eine weiße Wand, scheinbar sinnloserweise, nochmal weiß zu streichen?

tatjana: Das schliesst an mein Interesse an, Sichtbarkeit und Unsichtbares, Latenz und Potentialität, das Verhältnis von Partiellem zum Ganzen zu erforschen. Zeit an sich ist als solche nicht sichtbar, nicht spürbar. Ein doppelter Farbauftrag, was bedeutet das?
Für mich ist es ein Prozess der Verdichtung, Verdopplung, eine tellenweise Durchdringung und Überlappung, eine Koexistenz mehrerer Schichten. Es sind nur einige Stellen der Wand gestrichen, so ist eine Auswahl getroffen, ein Selektionsprozess hat statt gefunden. Die Flächen werden Eingefügt in den Gesamtzusam – menhang. Wenn Du genau schaust, kannst Du sehen, dass die Weiße
Farbe nicht genau die gleiche ist, das ist kaum merklich, sie hat eine andere Oberflächenqualität, Licht bricht sich in anderer Weise da rauf.

Tatjana, welche Überlegungen standen bei der Holzinstallation, die den „greifbaren“ Teil deines Beitrages strukturiert, Pate?

tatjana: Zeitwahrnehmung sehe ich als Konstrukt, als mehr oder weniger stabile Verbindung. Holz ist Baumaterial, wie die zur Verfügung stehen – de Zeit. Manche Teile habe ich zusammengefügt und es ergeben sich neue Ebenen, Räume im Raum. Andere bleiben lose – als unbenutzte Einzelteile, als Material – stehen. Das Holz habe ich dafür mit einer weißen Beschichtung gewählt, die glatt ist und sich optisch in den Raum einfügt. Die Schnittkanten bleiben sichtbar, ein Zeichen ihres Ausgekoppeltseins aus einem größeren Ganzen.

Das Muster der Klebestreifen erzeugt eine Art geometrischer (also höherer?), komplexer Ordnung im Raum ? ist das eine Art Reflex, so wie Telefonbuchkritzeln, oder steht es für eine Art des Umgehens mit (zuviel oder zuwenig) Zeit?

tatjana: Ja, ich muss zugeben, ich bin ein Freund von Ordnung im Sinne von Strukturgebung, das hat ja auch ganz viel mit Orientierung zu tun. Du fragst nach Hierarchien, nach Abstufungen, nach einem offensichtlichen Zustand des Absoluten und somit in sich Geschlossenem. Zeit ist relativ. Ordnung herstellen ist für mich ein Prozess der Bewusstmachung und Entscheidung.
Die Klebestreifen sind flexibel, sie sind Hilfslinien, sie geben eine zunächst von mir erstellte Ordnung vor, aber man kann sie auch abziehen, was manche der Besucher gemacht haben. Dann entsteht eine Verschiebung, etwas neues.

Nina, wenn ich den Ausstellungstitel „Auf dem BODEN der Zeit“ bedenke, so fällt mir auf, dass deine Arbeiten ganz explizit den Bodenkontakt wenn nicht vermeiden, so zumindest minimieren (bis auf das Bettzeug, und genau da wirkt es natürlich ungemütlich-befremdlich) – bedeutet aus der Zeit fallen immer auch Realitätsverlust? Erlebt sich Zeit besser im Hocken? Oder, anders gefragt – würdest du sagen, für Euch ist die Wahrnehmung der Zeit eine Angelegenheit des Körpers?

nina: In „Staub zu Staub“ ist es wirklich so, dass es eine Trennung vom Boden gibt. Ich wollte einen Zwischenzustand erreichen, genau so wie Zeit für mich weder bodenbeständig noch freifliegend ist. Die Frau im Video schwebt zwischen Himmel und Erde, gehört sozusagen zu keinem Bereich dazu. Das was sie macht, ist aber sehr erdverbunden.
Staub gehört eindeutig zum Leben auf der Erde. Wenn man an das Jenseits denkt, denkt man nicht an Staub. Und trotzdem ist sie durch ihre „sinnlose“ Tätigkeit nicht im normalen Leben teilnehmend, sie schafft sich einen Freiraum zum Denken, gewinnt Zeit. Sie ist aktiv durch ihre Passivität. Zeit ist hier sehr stark zu einer Erfahrung des Körpers geworden.
Ich finde die Verbindung von Körper und Machen sehr wichtig. Man kann viel reden und nachdenken, aber wenn man etwas wirklich macht, körperlich durchführt, findet man zu einem Wissen, dass man sonst nie bekommt. Ich hätte von Staubmachen keine Ahnung, hätte ich nicht wirklich lange Zeit Staub gemacht, nur durchs Denken wäre es eine gänzlich andere Sache geworden.
Und ja, Zeit erlebt sich wahrscheinlich besser im Hocken. Wir werden unserer selbst mehr bewusst, wenn wir hocken, spüren den Körper, seine Müdigkeit, sein Zwicken und seine kleinen Krämpfe. Im Hocken lässt sich nicht so viel zwischen uns selbst und der Erfahrung schieben, wir sind offener, verletzlicher und nehmen direkter wahr, ohne immer den Intellekt dazwischen zu schalten.

Nina, deine Arbeit vermittelt an manchen Stellen den Eindruck einer scheinbaren Leichtigkeit oder Einfachheit – ist das notwendig für das Thema oder charakterisiert es deine Arbeitsweise? Ist Zeit (haben) einfach oder schwer?

nina: Diese scheinbare Leichtigkeit ist sicherlich ein Teil meiner Arbeitsweise. Ich drehe oft meine Videos mehrmals, um zu dem Zustand zu gelangen, wo die Leichtigkeit sichtbar wird. Ich entdecke in dem Rohmaterial, was mich wirklich an einem Thema interessiert. Nur durchs Machen komme ich dahinter, darüber nachdenken reicht nicht, ich verstehe durch das Erleben. Wenn ich mein eigenes Material sichte, fallen mir Kleinigkeiten auf. Diese probiere ich dann weiter zu entwickeln und besser sichtbar zu machen, alles Unwesentliche wird weggenommen. Es wirkt wie eine Reduktion, ich siebe aus und halte dann das, was mich interessiert, fest. Diese eine Sache will ich „rein“ haben. Wenn das Ergebnis „leicht“ rüberkommt, bin ich froh. Die Arbeit, um dahin zu kommen, ist ein Teil meines künstlerischen Prozesses.
Ich strebe danach, einem Betrachter diese „Leichtigkeit“ zu zeigen. Zeit zu haben ist einfach, Zeit zu füllen sehr schwer.

Tatjana, deine Holzinstallation arbeitet im Unterschied zu Ninas sehr stark, und fast angestrengt (zumindest was die Herstellung angeht), mit dem vorhandenen Raum, seinen Begrenzungen, Dimensionen und seiner Dreidimensionalität. Was bedeutet das „hoch oben“ im Raum für Dich?

tatjana: Ein wesentlicher Ansatz meiner Arbeit ist, vorgefundenen Raum zum wesentlichen Teil meiner Installationen zu machen, Dimensionen sichtbar zu machen, zu verschieben, neu zu setzen. Ohne Raum funktioniert die Arbeit nicht, er reflektiert meine Auffassung von Zeit, aber gleichermaßen ist der Betrachter auf sich geworfen, er kann entdecken, über sehen, er muss sich bewegen, eine eigene Position finden. So war es naheliegend, den Raum zu erforschen und zu strukturieren, Wände,
Boden, Fenster und Durchlässigkeiten miteinzubeziehen, Grenzen abzutasten, neue Module einzufügen, den Raum zu erweitern, feine links zu legen an entferntere Stellen im Raum. „Hoch oben“ ist kein Symbol hierarchischer Ordnung, es ist eine weitere Möglichkeit für Bewegung.

Category
Installationen
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